Kurzurlaub

1. Tag
Die erste Bahn hängt: An der Stirnseite der Galerie. Beim ersten Sehen sucht man in seinem Gedächtnis immer nach etwas Bekanntem: Street Art fällt mir ein. Street Art ist so einzigartig, weil man sie beiläufig wahrnimmt, im Vorübergehen. Sie wurde nicht dafür gemacht, betrachtet zu werden, sondern da zu sein. Diese Beiläufigkeit der Street Art finde ich auch in Johanns Bildern. Seine Motive sind da, aber sie drängen sich nicht auf. Selbst die Pfeile. - Welcher Hersteller käme schon auf die Idee, mit einem knallroten Pfeil auf dem Metall anzuzeigen, in welche Richtung man die Patronentrommel aus seinem Revolver löst und welcher Benutzer würde das erwarten? – oder hat mal ein Amerikaner geklagt, weil er außversehen sein Kind erschossen hat, da der Lademechanismus nicht genau genug gekennzeichnet war – geklagt und natürlich Recht bekommen.

2. Tag
In meiner Redaktion ist großes Getöse, weil Innere Sicherheit Wahlkampthema in Bremen wird und wir was dazu machen müssen -  wie Johann, der einen im Pinkeln-im-Begriff-stehenden-Jungen auf ein Podest stellt und mit Signalrot ein
Sigfrid-Kreuz auf die Schulter des Jungen zeichnet, genau mit jenem Signalrot, mit dem der behelmte Polizist Kreise in die Luft zeichnet – nur hier ganz ohne Getöse.

3. Tag
Warum hat Johann den Bremer Förderpreis nicht bekommen? Wahrscheinlich sind seine Arbeiten zu komplex. Das hat die Jury überfordert

4. Tag
Habe mich heute in die Galerie reingeschlichen, weil ich wusste wo der Schlüssel versteckt war. Leider habe ich den Lichtschalter nicht gefunden. Brauchte ein wenig, um mich zu orientieren. Das durch die Türöffnung fallende Licht traf auf die weiße Fläche unterhalb der rundbogigen Brücke, auf jenes weiße Loch, auf das der Behelmte seine Pistole richtet – was für ein Täuschungsmanöver.

5. Tag
„Im Kulturkampf der Symbole feiert die autonome Szene ihre brachiale Zeichensetzung“, schreibt die taz heute. Der Autor hat bestimmt Bilder von Johann gesehen, obwohl, wenn das ernst gemeint ist mit dem „Kulturkampf der Symbole“ und der „brachialen Zeichensetzung“, dann kommentiert Johann hintersinnig die Verfügbarkeit der Symbole.

 

6. Tag
Heute arbeitet Johann nicht in der Galerie, hat er jedenfalls gestern gesagt. Vielleicht wollte er auch einmal nur von mir in Ruhe gelassen werden. Habe es nun doch gemacht, den Begriff nachgeschlagen, der mir beim Blick auf Johanns Bilderwelt gleich in den Sinn kam „Manierist“, postmoderner Manierist. Johann hätte sicher erst einmal gegoogelt. Ich hole den Brockhaus aus dem Wohnzimmer: Viel kann ich von dem, was dort steht, nicht gebrauchen, aber dann lese ich doch, allerdings über Literatur. Manierismus, darunter wird im Gegensatz zur Klassik verstanden: „Die durch subjektive Auswahl, Abwandlung, Übertreibung und spielerische Handhabung vollzogene Veränderung einer vorgegebenen Form. An der Wirklichkeit interessiert nicht das Naturhafte sondern das Problematische, Bizarre, Monströse.“

7. Tag
Heute hängen alle Bahnen: Willkommen in Büsens Welt! Ein Verschwörungstheoretiker würde sich hier sauwohl fühlen– Katastrophen lauern überall, Exitstrategien und codierte Geheimpläne suggerieren eine Beherrschbarkeit des
Schreckensszenarios genauso wie Schutzanzüge nur relative Sicherheit garantieren. Der Zeppelin schwebt als Unglücksengel sanft am Himmel, überdimensionale Pilze schießen aus kahlem Boden, aus dem Baumstümpfe ragen. Ironie und Ernst liegen nah beieinander. Bedrohliches und Spießiges auch – so wie wir unser Wohlstandleben führen und uns vor dem Terror unbekannter Islamisten fürchten. Johanns Kunst führt die mediale Vermittlung der Bilder vor, die in unsere Wohnzimmer eindringen aber geschützt von der Mattscheibe nicht viel Unordnung anrichten, bis auf ein hilfloses Gefühl der Beklemmung. Hieronymus Bosch hätte die Menschheit im Fegefeuer elendig gefoltert. Selbst diese Hoffnung auf die Hölle bleibt uns versagt. Nur als Kinder glaubten wir an eine heile Welt, in deren Mittelpunkt wir uns befanden und daran, dass wir das Böse besiegen konnten.

8. Tag
Heute hat er zum ersten Mal den Pinsel in die Hand genommen – mit weiß, grau und schwarz nur ganz wenig gemalt, akzentuiert – unglaublich, wie plötzlich eine Sinnlichkeit in die Bilderwelt hineintritt, die Distanz verringert – aber vielleicht hat das auch nur mit meinem Alter zu tun, mit liebgewonnen Sehgewohnheiten – lieber jetzt mal den Mund halten.
9. Tag
Als ich Johann Büsens Bilder zum ersten Mal gesehen habe, in Worpswede, dort hatte er den Nachwuchspreis bekommen, dachte ich zunächst, ich habe es mit einem Internetjunkie zu tun. Wie falsch ich damit lag, sehe ich erst hier. In dieser von ihm geschaffenen Wirklichkeit wird deutlich, wie genau er komponiert, mit der Farbe sparsam pointiert, wie er am Bildschirm sitzend immer schon alle vier Wände vor Augen hat. Ihm liegt nichts daran, die Malerei ditigal zu imitieren. Früher ging der Maler an die frische Luft um etwas über die Realität zu erfahren. Heute nimmt er Materialien aus der Medien-Realität, aus der er sich Figuren, Symbole und Gegenstände herausgreift, die er systematisch wie einst der Dichter Arno Schmidt jetzt aber in digitalen Zettelkästen anlegt. Die Bilderwelten, die er daraus erschafft, wollen gelesen werden.

10. Tag
Die Figuren treten durch die sparsam zwar, aber subtil aufgetragene Farbe - jetzt zusätzlich das leuchtende Rot - immer stärker in den Raum. Begriffsklärung tut not. Doch da hilft die Kunstgeschichte nicht weiter. Ein Changieren zwischen Computerdruck und Wandmalerei, wobei digitaler Druck nur die Technik beschreibt wie herkömmlich Ölmalerei und wenig
über das Collagieren, Arbeiten mit digitalisierten Skizzen, Fotografien, Internetmotiven und Zeitschriftenabbildungen, das Samplen von vorgefundenem Bildmaterial, auch aus seinen Kinderzeichnungen aussagt. Wandinstallation, Raumkunst – nichts greift wirklich. Wenn man die faszinierenden Animationsfilme hinzunimmt, Sprayen, Konturieren, Verwischen und Malen mit dem Pinsel funktioniert die Beschreibung multimediale Kunst und trifft es doch nicht.

11. Tag
Johanns Figuren haben sich freigeschwommen – hier ist etwas völlig Neues entstanden. Mut zum Auslassen. Jede einzelne Figur besteht in der Einsamkeit des Raums, auch ohne den Schutzanstrich der Farbe, ohne das Gewimmel auf der Leinwand wie in seinen bisherigen Bildern. Johann ist kein moralisierender Aufklärer. Das wird jungen Künstlern oft als Beliebigkeit vorgeworfen. Dafür schickt er lakonisch das Aufräumkommando nach der Umweltkatastrophe auf die Weltenbühne und gibt dem Betrachter einen Selbstbaukasten an die Hand, mit dem er alles in eine ordentliche Reihenfolge bringen kann. Natürlich funktioniert das nicht. Auch die Meßlatten und Absperrbänder werfen mehr
Fragen auf, als dass sie zur Klärung beitragen.

Dr. Inken Steen,
Kunstkritikerin, 2011