Der digitalisierte Maler

Das abenteuerliche Bilderkarussell des Johann Büsen

Eine junge Dame im Petticoat blickt am Straßenrand erstaunt auf ein monströses Objekt, Saurierei, Riesenpille oder genmanipulierter Football; maskierte Männer, aus Ku-Klux-Klan Geheimbund oder Sadomasoszene, zieren Geldscheine, die unheilschwanger phosphoreszierend leuchten; Flugzeuge dematerialisieren sich im Landeanflug in ihre Konstruktionszeichnungen; Taucher, deren Köpfe in altmodischen Metallhelmen stecken, kämpfen mit Monsterkraken, deren Tentakeln sich um die Reling wickeln… Puh, schon ein erster Rundblick zeigt: Es ist ganz schön was los auf den Bildern von Johann Büsen! Der Versuch, eine Bildhandlung im herkömmlichen Sinne in diesem wilden Tohuwabohu zu entdecken, sie nachvollziehbar zu beschreiben, sie gar deutend zu vertiefen, der allerdings scheitert schon im Ansatz. Und dann diese Farben... „Bunt“ wäre da noch verantwortungslos untertrieben. Der Ausbruch eines wahren Krakataus von glühenden Pinks, giftigsten Grüns, verlogensten Hellblaus schleudert, schliert, wabert und knallt da über die Fläche, dass es nur so eine Art hat!
Dass der Künstler für all das gern mal Formate wählt, die jenseits der Vier-Quadratmeter-Grenze liegen, trägt auch nicht gerade zur Beruhigung des inzwischen von leichtem Schwindel befallenen Betrachters bei…

Zum Runterkommen hier nun einige kühle Beobachtungen und Überlegungen. Die Arbeiten Künstlers vermitteln zwar fürs Erste den Eindruck einer absolut chaotischen Fülle von Einzelheiten, die für sich genommen schon befremdlich genug sind, vor allem aber in keinerlei erkennbarem Zusammenhang stehen. Die grelle Farbigkeit verstärkt den Charakter des Disparaten. Hat man sich aber erst ein wenig in die optische Überwältigungsstrategie eingeschaut, fällt doch auf, dass gerade weil so viele Details, Personen und Accessoires um die Aufmerksamkeit des Betrachters buhlen, eine gewisse Einheitlichkeit entsteht, ein optisches Grundrauschen sozusagen, aus dem dann vereinzelt strukturierende Amplituden herausragen. Schaut man noch länger hin, so wird einen doch unweigerlich der Gedanke beschleichen, das eine oder andere der Bildelemente schon einmal gesehen zu haben. Oder nein, eher doch nicht? Beides, die Anklänge wie auch die Unsicherheit, führen ins Herz der künstlerischen Position, die sich Johann
Büsen in den letzten Jahren mit großer Hingabe — und, das sei hier schon angemerkt, mit erheblichem Erfolg — erarbeitet hat.

Das Wiedererkennen ist ein wesentliches Moment unseres menschlichen Wahrnehmungsvorgangs: Das von den Sinnen vermittelte Material wird auf gespeicherte Muster hin abgescannt und entsprechend eingeordnet, Entsprechend ist die Mimesis, die Nachahmung, zentrale Kategorie der kunsttheoretischen Diskussion. Seit der Renaissance verstand man darunter die angemessene, weil wiedererkennbare Darstellung; der Natur, der Menschen, der Dinge, der „Wirklichkeit“ mit einem Wort eben. Die Wiedergabe musste sich nicht unbedingt auf die äußere Erscheinung der Phänomene richten, sondern schloss auch die Möglichkeit struktureller Analogie zwischen der künstlerischen Tätigkeit und dem (vermuteten) Vorgehen der Natur ein. Der Künstler also als kleiner Schöpfergott, mindestens aber als einer, der sich stets mit eigenem Auge, ganz unmittelbar, der Welt stellt und sie in sein Werk umsetzt — und wenn er sie dabei aus eigener Machtvollkommenheit subjektiv verbiegt! Das ganze Pathos der Moderne des 20. Jahrhunderts zehrte von dieser Grundannahme. Die Konzeption trägt
heute nicht mehr: Das kann man zwar bedauern, aber wohl kaum leugnen. Statt erkenntnistheoretische Trübsal zu blasen, kann man den unwiederbringlichen Verlust der Unmittelbarkeit auch als Chance sehen — und genau das macht Büsen mit Lust und Raffinesse!

Der 1984 in Paderborn geborene Johann Büsen studierte von 2005 bis 2010 an der Bremer Kunsthochschule bei Peter Bialobrzeski. Ihn beeindruckte an der Arbeit des Fotografen vor allem die Tatsache, dass dahinter ein schlüssiges Konzept stand: Bialobrzeskis Bildstrecken zeigten Möglichkeiten, stupende Einzelbilder mit einer konzeptionell stringenten Gesamtdramaturgie zu verbinden. Von der klassischen Fotografie kam Büsen zur Fotocollage. Weil er da aber schon längst seine persönliche digitale Wende vollzogen hatte, konnte Büsen Schere und Uhu-Tube getrost in der Schublade lassen und stattdessen die gesamte Bildfindung auf den Bildschirm verlagern. Dabei ist der heute in Bremen und München lebende Künstler geblieben — nur dass heute gleich drei großformatige Monitore auf dem Arbeitstisch stehen… Zurück aber in Büsens persönliche „Findungsphase“: Damals interessierte er sich auch für den subversiven Aspekt der Arbeit im
öffentlichen Raum, für Street Art. Für die Herstellung der benötigten Schablonen verwendete er gleichfalls digitale Mittel, mit denen er seine Motive aus fotografiertem Material herausziehen konnte. Auch hier war der Weg zur „digitalen Malerei“ gewissermaßen schon vorgezeichnet. Neben seiner freien Arbeit allerdings vertiefte sich der Student Büsen parallel auch in Illustration, Animationstechniken sowie Grafik- und Webdesign. Dass das keine vergeudete Zeit war, merkt sofort, wer heute seine Website besucht, die zum einen als Informationsquelle ergiebig ist, darüber hinaus aber auch — die kleinen Filme! — definitiv Unterhaltungswert hat.

Information und Unterhaltung — da haben wir schon die Stichworte, die uns in seine Bildwelt führen. Denn statt der direkten Welterfahrung — und der entsprechenden deutenden mimetischen Umsetzung dieser Erfahrung durch den Künstler — erleben die meisten Zeitgenossen heute die Welt medial vermittelt. Und in diesen Medien sind Information und Unterhaltung kaum noch auseinander zu halten: lnfotainment allüberall! Ungeniert, ja lustvoll bedient sich Büsen dieses frei über die Bildschirme flottierenden Gemenges, um daraus den Zaubertrank seiner fantastischen
Bildwelten zusammenzubrauen. Er verfügt über eine gigantische, nach Themen und formalen Eigenarten verschlagwortete „Bilderkiste“ — eine digitale Kiste, versteht sich! „Copy & Paste“ ist ein typisches Phänomen unserer Gegenwart, das man durchaus kritisch sehen kann, denken wir an das stillschweigende Unterlaufen des Urheberrechts, ganz zu schweigen von der sattsam bekannten Titelerschleichung in unserer politischen Kaste. Aber tatsachlich ist unser aller Weltbild eine Mischung von Fakten, Meinungen, Fantasien, Ängsten, Sehnsüchten und tausend anderen Momenten. Auf dieser Klaviatur spielt Johann Büsen souverän, indem er eben nicht nur einfach Zusammenwachsen lässt, was nicht zusammen gehört. Seine Montagen aus gefundenem Bildmaterial erweisen sich bei näherer Betrachtung als sorgsam und wirkungsvoll komponiert, Er setzt pointiert auf der Bildfläche Schwerpunkte, die den Betrachter eintauchen lassen in eine befremdliche Welt, die sich speist aus technischen Zeichnungen, kunstgeschichtlichen Bezügen, der Bildsprache der politischen Berichterstattung und natürlich von Comic und Kino. Historische Vorbilder sind hier die Künstler der Popart der 60er Jahre, mit denen verglichen aber Büsen die Schraube der Ironie noch einige Umdrehungen weiter angezogen hat. Die entstehenden Bildräume sind paradox und brüchig, sie machen uns Angst und sie machen doch auch merklich Spaß! Das Mittel, mit dem Büsen unsere Aufmerksamkeit einfängt, sind die narrativen Elemente. Wir identifizieren uns mit den dargestellten Personen, wir lehnen sie ab, wir haben Angst vor ihnen, wir möchten die absurden Handlungen erklärt bekommen, denen sie sich hingeben... Ein endloser stream of (sub)consciousness wird hier in Gang gesetzt und ist nicht so leicht wieder zu stoppen.

Büsens Erzählungen aber bleiben stets offen: Kaum begonnen, brechen sie wieder ab, um ganz woanders erneut anzusetzen. Filmisch gesprochen, eine auf Höchstgeschwindigkeit rasende Schnitttechnik! Der Fluss der Erzählung staut sich zuweilen, lässt Atempausen zu, versickert gar, nur um dann aufs Neue in wilden Katarakten dahin zu schießen. Der Offenheit der Narration entspricht die formal reiche Instrumentierung mit flächigen Elementen, gemusterten oder gerasterten Strukturen und akkurat geführter Linearität. Dass der Künstler auf schlüssige Perspektiv- und Raumkonstruktion verzichtet, gehört dazu. Seine bildnerische Wunderkammer, die das Schreckliche mit dem Abstrusen
zusammenbringt, das Komische mit dem Kuriosen, hält stets Falltüren bereit, die sich in andere Dimensionen von Raum und Zeit öffnen. Wir können uns fühlen wie Alice bei ihrem die Perspektive verschiebenden Sturz hinab in die Kaninchenhöhle… Johann Büsen webt uns eine Art Bildteppich auf Speed! In der jüngsten Zeit allerdings hat sich seine Bildsprache ein wenig beruhigt, um, beinah im klassischen Sinne, den malerischen Momenten mehr Gewicht zu geben. Um das zu erreichen, verfeinert Büsen seine digitale Palette unermüdlich, wie er überhaupt ein äußerst fleißiger Künstler ist, dessen rasche Entwicklung und multimediale Produktivität staunen machen. Das sahen auch die Jurys diverser Kunstpreise in den letzten Jahren so: Auszeichnungen waren die Folge! Zurück zum Arbeitsprozess: Ist die Montage der Elemente in vielen Lagen übereinander schließlich zu des Künstlers Zufriedenheit ausgefallen, erstellt er als finalen Schritt mittels Plotter einen Pigmentdruck auf Leinwand. Der bleibt stets ein Unikat, was denn doch, zusammen mit dem Bildträger, die Anbindung dieses so innovativen jungen Künstlers an die Tradition deutlich macht. So bezeichnet er seine Arbeit auch eindeutig als „Digitale Malerei“, die halt so, wie sich Künstler immer schon technische Neuerungen zu Nutze gemacht hätten (die Konstruktion der Perspektive, die Erfindung der Ölmalerei, des Steindrucks oder der Acrylfarbe usw.), einfach die heutigen Möglichkeiten ausschöpfe.

Ein Knabenbildnis: Nicht mehr im e seidenen Jabot und auch nicht im Matrosenanzug, sondern ganz heutig in T-Shirt, Shorts und Turnschuhen steht der Junge da, uns Betrachter geradeaus fixierend. Die Intensität wird verstärkt durch die knappe Einspannung der Figur ins Hochformat Dann aber ist es mit der Ruhe vorbei: Ein Linienrahmen, zwar regelmäßig geschachtelt, pulsiert kräftig in Neonfarben und diagonal um die Hüften des Jungen rotiert eine Corona von fragmentierten Objekten, die an den Ring des Saturn denken lässt. Aber was hält er da bloß in der Hand? Ist es wirklich das sagenhafte Kryptonit, wie der Bildtitel meint? Dieser extraterrestrische Stoff war bekanntlich die einzige Materie, die Superman gefährlich werden konnte. Aber was zunächst nur im Universum der Comic-Helden zu finden war, hat schon längst den Weg in unsere Welt — ist die wirklich die wirkliche Welt? — angetreten: Unlängst entdeckten Forscher eine Chemikalie, die aufs Haar dem fiktiven Stoff glich… Das erfundene Element ist ohnehin längst Teil von Alltag und Popkultur geworden: Wir versperren unser
Fahrrad mit einem Schloss der Marke Kryptonite, verstehen Songs, in denen eine vergeblich angeschwärmte Person als „my cryptonite“, also als schwacher Punkt, beschrieben wird. Warum also kein Porträt mit einem (hier seltsamerweise eher fladenförmigen) Element aus fremden Galaxien? Das Imaginäre und das Wirkliche sind längst nicht mehr voneinander zu trennen und Johann Büsens Kunst strickt an dieser Fusion munter weiter. Aber welche Rolle spielen hier die Teile des explodierten Toasters (der Salatschleuder, der Einspritzpumpe), die den Protagonisten umsausen?

Souveräne Beherrschung der Mittel, technische Erfindungskraft, Lust am bildnerischen Spiel — damit, vor allem aber mit der Mischung von Informiertheit und Ironie, die aus seinen Arbeiten spricht, ist Johann Büsen ein zeitgenössischer, ja man könnte emphatisch sagen, ein eminent zeitgemäßer Künstler, Er treibt das allgemeine Schwimmen im See unendlicher Informationen auf einen Höhepunkt, wenn die gewagte Metapher hier gestattet ist. Verblüffend und witzig — und so zynisch wie wir alle: die Teilhaber einer postmodernen Informationsgesellschaft, deren Widersprüche sich schon längst keiner mehr aufzulösen zutraut. Weltuntergang — na und?
<
Zerschnittener Fisch, zerstörter Bunker: den Künstler Johann Büsen interessieren die Bruchstellen unserer Welt — und aus den Verwerfungen kann er zuweilen komische Qualitäten frei setzen.

>
Tanzen im Röhrendschungel oder Rettung aus einstürzenden Neubauten? Arrival lässt vieles offen... Komik und Katastrophe liegen jedenfalls immer dicht beieinander! Gehalten wird das Chaos durch eine in vielen, über einander liegenden Bearbeitungsschichten entwickelte Komposition.

Charakteristisch sind die neongrellen, fast phosphoreszierenden Farben sowie der Kontrast zwischen exakten Linien und diffusen Schleiern. Auf eine geschlossene Raumkonstruktion verzichtet der Künstler, um die Assoziationen so frei schweben zu lassen wie die Objekte im absichtlich offen gelassenen Bildraum.

Dieter Begemann
Kunnst Magazin, 2014