Die Bildküche des Johann Büsen
Pop-up ist uns geläufig aus der  Computer-, aus der Internetwelt. „Plötzliches Auftauchen“, ein “Aufspringen“  eines Untermenus oder eines neuen Fensters mit vielleicht unerwünschten  Werbeinhalten. Wir klicken das Pop-up-Fenster schnell weg, dennoch hat es sich  in den Vordergrund gedrängt, hat unsere Aufmerksamkeit für einen Moment  besetzt. Die Internetbrowser können pop-ups blockieren, damit man nicht ständig  von den drängelnden, „aufspringenden“ Ablenkungen gestört wird. Bei Johann  Büsen sollten Sie die Pop-ups nicht blockieren, denn sonst bekommen Sie die  Bilder auf seiner Webseite nicht zu sehen. 
  Johann Büsen ist ein Kind unserer  digitalen Zeit. Falls Sie computerfrei sind und Begriffe wie “pop-up“ lieber  den Computerfreaks überlassen, so werden Sie dennoch einen deutlichen  Eindruck davon bekommen. Johann Büsens  Bilder, die zu einem Großteil auf Leinwand gedruckt sind, springen geradezu  nach vorne, sie sind kräftigst in der Farbe, sie drängeln sich in unser Gesicht  und sie wollen geradezu stören. Hier gibt es keinen Pop-up-Blocker, höchstens  wenn Sie die Augen schließen. Wenn sie einen zweiten und dann mehr Blicke  riskieren, entdecken sie die enge Beziehung von Johann Büsens Gegenwartskunst  zur Malerei und zur Blickweise wie sie sich über Jahrhunderte entwickelt hat.
Der Werktitel Pop-Up verweist  natürlich nicht nur auf die Computerwelt. Pop ist ein allumfassender Stil der  sich entrümpelnden Nachkriegsgesellschaften: Pop-Kultur, Pop-Musik, Pop-Art.
  Die Pop-Art hat sich in den 50ern  und vor allem 60er Jahre als dominante Kunstrichtung  entwickelt. Sie hat der Modernen Kunst ein  grafisches, ein buntes, manchmal comikhaftes, ein plakatives und ein fröhliches  Gesicht gegeben. Vor allem hat sie dafür gesorgt, dass der Alltag und die Kunst  näher zusammenkamen. Banale- und Alltagsgegenstände, eigentlich alles, was eine  Gesellschaft zu bieten hat, durfte in die Kunst einbezogen werden. Und die  Realität tauchte in der Kunst auf, wurde reflektiert, ironisiert, gespiegelt  und künstlerisch gestaltet. Pop-Art kennen wir als Zitate aus der Werbung mit  ihren Symbolen, Klischees und Übertreibungen, als Cola-Flasche und  Campbell-Dose, als knallige Schablonenkunst, als Malerei, Siebdruck, Collagen  aus Papier, Stoffen und Gegenständen. Wurde vor 50 Jahren aus dem Fundus der Gesellschaft  reell gesammelt, geschnitten, genäht, bemalt, geklebt, lackiert und besprüht,  so hat dieser Fundus heute ein anderes Gesicht: allein schon das Fernsehen, die  Digitalfotografie, die tausend Kanäle, die mobilen Quälgeräte. Also dürfte sich  auch die künstlerische Verarbeitung verändert haben. 
  Allerdings sollte hier bemerkt  werden, dass auch Künstler wie z.B. Caspar David Friedrich, im 18ten  Jahrhundert, gesammelte Bilder auf ihren Gemälden zusammensetzten. Das, was für  uns wie Malerei vor der Natur aussieht, war auch bei ihm schon häufig aus den  Reisebeschreibungen von Freunden zurechtkomponiert. 
Es lohnt sich, ein wenig in die  Arbeitsküche des Johann Büsen zu schauen. Zunächst einmal ist Johann Büsen ein  Sammler. Er sammelt Bilder, Bilder, Bilder. 100.000 und mehr. Festplatten,  Verzeichnisse, Unterverzeichnisse, Ebenen. Johann Büsen schnippelt. Er zieht  Fragmente, Ausschnitte aus den Bildern, er verändert sie. Er scannt  Zeitungsschnipsel, Fotos, alte Zeichnungen, neue Zeichnungen, Skribbelskizzen, Kinderzeichnungen.  Alles Analoge wird so digitalisiert. Geordnet nach Motiven, Strukturen, Farben  und Hintergründen. Und nicht genug, sucht eine Suchmaschine alle möglichen  Webseiten nach allen möglichen Bildern durch, also T-Shirt, Bulldozer, Gemüse,  Augapfel, Hühnersuppe. Beliebig unterschiedliche Bilder, beliebige Bedeutungen,  Verwendungen, Bildabsichten. Ein Bildrauschen ohne Ende. Ähnliche Mengen an  Bildern und Zeichen nehmen wir andauernd war, wenn wir uns durch unseren Alltag  von A nach B bewegen. 
  Aus diesem Fundes seiner Bildwelt  bedient sich Johann Büsen. Zeitgleich sind auf mehreren Monitoren 4 bis 9  Fenster auf, er arbeitet parallel. Was hier nicht passt, geht vielleicht  nebenan. Eine riesige Bühne mit Bildelementen, die Johann Büsen übereinander  schiebt, gegeneinanderstellt, die Proportionen ändert. So komponiert er mit  seinen Motiven, ob Menschen, Häuser, Wörter oder Flugzeugteile, setzt dann die  Farbe und Hintergründe ein, und zum Schluss vervollständigen Strukturen,  Schraffuren, Gekleckse das ganze Bild.
  Zwei Orientierungen unterscheidet  Johann Büsen. Eine intuitiv, also was ihm gefällt, ihn beschäftigt, assoziativ  sich ergebend und eine thematische Orientierung, wie z.B. Wissenschaftlichkeit,  Politik, „Eintopf“ oder „Holy Mom“.
  Sie sehen die Verwandtschaft zur  Pop-Art. Der Fundus stammt aus dem gesellschaftlichen Alltag, er wird aber  digital erschlossen oder gewandelt. Benutzt werden darf alles – das Ganze ist  mengenmäßig potenziert. Es wird nicht geklebt, kein Stoff geschnitten, kein  Lack gesprüht, keine Farbe verstrichen. Der Herstellungsprozess, der  Bildfindungsprozess ist unmateriell; die Hand erzeugt den Mausklick, aber der  Kopf, der Kopf steuert nach wie vor.
Der legendäre Ford Mustang wurde  ab 1964 und bis heute in weiteren Versionen gebaut. 340 ist eine Modellversion  von 1966, die Leistung war in jedem Fall über 300 PS. Vielleicht waren es auch  die 340 PS, die ihm den Namen gaben. Ford Mustang war in den 60er Jahren der  Inbegriff amerikanischer Lebenspower, groß und kräftig in der ganzen Welt. So  fuhren sie auch in Europa herum, in den Ländern des Fiat 500 und VW Käfers. 
  Dreigeteilt ist das Bild 340 von  Johann Büsen. Hellbrauner Hintergrund mit Mustang und Motor, blaugrauer  Hintergrund mit Gebissabdruck und Körperteilen, warmgelber Hintergrund mit  sitzender Figur und Oberkörpersklelett. Dazwischen Schraffuren, Strukturen und  Elemente, die verbinden. Japanische Schriftzeichen in braun auf gelbem Grund im  unteren Bilddrittel und gelb auf braunem Grund im oberen Bilddrittel bewirken  eine Verbundenheit, die noch gestärkt wird durch einen schwarzen 
Reißverschluss  und die sitzende, zum Mustang blickende Figur. Wahrscheinlich steht der  Brustkorb in Beziehung zur Figur wie der Motorblock zum Mustang. Dazwischen  liegt ein Distanz schaffendes, gestreiftes, blaugraues Feld, welches offenbar  zum Gebissabdruck liegen lassen verleitet. 
  Diese Augenblitze wandern zu  meinem Gehirn. Wie sieht es bei Ihnen aus? Welche Erinnerungen, welche Bilder  sieht Ihr Kopf? Welche Verbindung haben Sie zum Mustang 340? Und wenn Sie daran  denken: welche Zwischenbilder, Gedanken und Ereignisse blitzen daneben auf und  stören oder ergänzen Ihr Bild?
  Exemplarisch ein zweites Bild mit  dem Titel “Holy Mom“. Gelb, orange, rot, leuchtende Farben und eine reichlich  dominante Aussage  mit der Madonna und  dem Kind, der Mutter, die ihrem Baby die Flasche gibt, das Schaf in der Nähe  der leuchtenden Madonna, ja der Strommast, der wie ein Kreuz hinter ihr ragt.  Ein Kirchengrundriss und auch der Blick vom Kirchturm hinunter auf die parkenden  kleinen Autos, aber auch eine weltliche Madonna mit dem Freiheitsstatuenkranz.  Was da noch alles erscheint, von der Larve, dem Schmetterling und dem  Knochenbein. Und das waren nur die obersten Schichten, darunter liegen noch  viel mehr, die man erahnen kann. 
Und wieder graben wir in unserem Kopf, den  Johann Büsen mit seinem Bilderkranz in Schwingung gebracht hat.
Es gibt komplexere Bilder mit  hunderten Bildelementen, Schichten und Farbflächen. Sie in der Addition zu  entschlüsseln ist fast unmöglich, und doch gibt es ständiges, unmittelbares  Erkennen. Wie könnte es auch anders sein? Der Bilderfundus des Johann Büsen ist  auch unser Fundus. Wir leben in derselben Welt. Trotzdem wird es schwierig,  wenn wir versuchen, den Inhalt, die Motive zu deuten, wenn wir also  ikonografisch vorgehen wollen. Das scheitert. Nicht, weil jeder seine eigenen  Deutungen liefern könnte, oder weil die Inhalte zu komplex, zu vielschichtig  sind, nein, weil es nicht mehr auf die einzelne Enträtselung der Motive und  Symbole ankommt. Ich glaube, dass es einen bestimmten Modus gibt, mit dem die  Komplexität, die Vielschichtig- und Vieldeutigkeit dieser Bilder erfahrbar und  entschlüsselbar ist.
  Auf der “documenta“ etwa, dort  können Sie nicht sämtliche Bilder, Videos und Objekte in sich aufnehmen, falls  Sie nicht gerade vier Wochen Zeit haben. Und dennoch kann man mit einer Art  Tunnelblick ganz viel mitbekommen, ein Blick, der aufnimmt und sich der Deutung  enthält, der registriert, selektiv aber nicht ausschließend. Und Sie werden  sich wundern, wie viel sie behalten können und wie genau. Natürlich lassen Sie  Dinge einfach links liegen. Das Ganze aber, Ihre “documenta“ können Sie  verarbeiten. Wenn es Ihnen gelingt, in diesen Modus zu wechseln, können Sie 10  Stunden Kunst anschauen. Sonst nicht oder allenfalls tiefenwirksam.
  Wenn Sie die Bilder von Johann  Büsen betrachten, empfehle ich, in diesen komplex reduzierten Modus zu  wechseln. Vielleicht hilft dabei der Gedanke an Suchmaschinen. Mittlerweile  gibt es visuelle Suchmaschinen, die um einen Begriff Assoziations- und  Verwandtschaftsbegriffe anlegen. Gelingt Ihnen nicht der Wechsel in jenen  Modus, dann wird Ihr Kopf Bilderrauschen signalisieren.
Johann Büsen ist ein junger  Mensch. Er studierte an der Hochschule für Künste. Als erste Ausstellung führt  Johann Büsen das Jahr 2003 an, mit 19 Jahren, noch vor seinem Studiumbeginn an  der Hochschule. Mittlerweile lebt er in Berlin und ab und zu in Bremen.  Kunstpreise, Einzelausstellungen, viele Beteiligungen, Grafik für Betriebe und  Vereine, Webseitengestaltung, Buchgestaltung. Johann Büsen verfügt über  ziemlich viel Kunst- und Berufserfahrung. Vielleicht hat er sich im Internet  virtuell jünger gemacht, was meinen Sie?
Wie alt sind Sie? Oder verkraftet  das Ihr Kopf? Alte Menschen nutzen ihr Gehirn anders als junge. Das Sinken der  Wahrnehmungsgeschwindigkeit im Alter wird vielleicht aufgewogen durch  Erinnerung, Erfahrung und Abstraktion, die die Wahrnehmung unterstützt. Dennoch  entwickeln junge Menschen einen Vorteil, weil ihnen die gesteigerte Informationsgeschwindigkeit  quasi in die Wiege gelegt wird. Während die Alten die Zeit immer schneller  vorbeifliegend erleben, ist dieselbe Zeit für die Jungen der Grundlevel, auf  dem sie und ihr Gehirn sich einrichten.
  Unsere Zeit hält 1000 mal so viel  Bilder bereit wie noch vor 20 Jahren, das Telefonieren findet in allen  Lebenslagen statt, die Fernsehkanäle würden am liebsten 30 Stunden pro Tag  senden, und die Schulkinder blättern im Internet nach ihren Hausaufgaben. Was  die einen als Reizüberflutung erleben, genießen die anderen als Vielfalt. 
  Die Fronten sind nicht immer  zwischen Alt und Jung. In jedem Falle wird sich diese Entwicklung nicht  aufhalten lassen. Sie bewirkt und fordert einen anderen Umgang mit der  Bilderwelt, einer digitalen Bilderwelt, die sich der Realität nur als Fundus,  nicht mehr als reales Abbild bedient. Ob das unser Kopf verkraftet? Wie werden  wir Komplexität zulassen, ohne im Bilderrauschen zu versinken?
Die Kunst ist schon längst und  immer dabei, sie vermag im “offenen System“ Gewissheiten und bildliche Lösungen  zu entwickeln. Für künstlerische Prozesse ist die Verunsicherung geradezu  permanentes Programm, denn Kunst lebt nicht von dem bereits Vorhandenem,  sondern dem Entgegensetzen oder dem Hinzufügen von Neuem, Einmaligem,  Unverwechselbarem. Damit lebt Kunst seit der Renaissance. Das Publikum hat sich  durchaus - wenn auch immer verspätet - auf einen expressionistischen Himmel  eingelassen und letztlich auch andere Interpretationen von Realität zugelassen.
Johann Büsen arbeitet mit seiner  Kunst an einem neuen Umgang mit der Bildwelt. Er hilft unserem Kopf mit seiner  Kunst.
  Einen Trost hält Johann Büsen  darüber hinaus noch für uns bereit. Er druckt seine Bilderfindungen auf  Leinwand. Leinwand ist beständig, haltbar, sie fühlt sich gut an und hat eine  körperliche Präsenz. Kunst wurde seit dem Mittelalter auf Leinwand aufgetragen.  Also, betrachten wir die Kunst einfach als Kunst. Die Bilderkunst – den Digital-Pop  des Johann Büsen.
Dr. Detlef Roth
Galeriemitte Bremen, 2009